Nach zwei Wochen im Nagaland zum Hornbilll-Festival und in Assam im Kaziranga-Nationalpark bin ich jetzt auf dem Weg von Calcutta nach Darjeeling. Der Singalila Ridge Trek im Angesicht des über 8.000 m hohen Kangchenjunga geistert mir schon seit langer Zeit im Kopf herum.
2005 war ich diesen Trek schon einmal gegangen. Damals allerdings Ende Mai nach meinem Aufenthalt in Bhutan. In der beginnenden Vormonsunzeit war das Trekking eine ziemlich verregnete Angelegenheit. Die meiste Zeit wanderten wir in einer einzigen riesigen Wolke, die nur ganz ganz selten einmal schemenhaft einen kleinen Ausblick erlaubte.
Den Tag verbringe ich mit Besichtigungen in Calcutta. Für mich ist Calcutta eine absolut faszinierende Stadt, der ich mit Begeisterung einen eigenen Beitrag auf meiner Homepage widmen werde.
Am Abend dann der Aufbruch. Mit dem Nachtzug will ich nach Siliguri und von dort überland nach Darjeeling fahren. Schon frühzeitig mache ich mich auf den Weg zum Hauptbahnhof. Vor meiner Abfahrt mit dem Nachtzug möchte ich dort noch etwas Zeit verbringen, denn das lebhafte Treiben in den indischen Bahnhöfen begeistert mich immer wieder.
Die meisten westlichen Besucher versuchen das Zugfahren in Indien zu vermeiden. Sich in dieses "wilde" Gewusel zu stürzen ist ja auch immer wieder eine kleine Herausforderung. Entsprechend überrascht und neugierig werde ich auf dem Bahnhof auch von vielen Indern "beäugt".
Trotz des vermeintlich herrschenden Chaos auf indischen Bahnhöfen ist alles bestens organisiert. Überall hängen Informationstafeln mit der Anzeige der nächsten Züge und den Hinweisen auf das Abfahrtgleis. Außerdem hängen in der Eingangshalle für jeden Zug die Passagierlisten, wo man ganz schnell sein Abteil und seinen Platz findet.
Für meine Fahrt haben die Freunde mir ein Schlafabteil im Soft-Sleeper in der zweiten Klasse gebucht. In den Abteilen sind vier Betten - jeweils zwei Betten übereinander. Zum Glück habe ich einen Schlafplatz auf der unten Bank, so dass ich nicht noch eine Kletterpartie einlegen muss. Nur in der ersten Klasse gibt es Zwei-Bett- und fest verschließbare Abteile. In der zweiten Klasse können zur Schlafenszeit nur einfache Vorhänge zugezogen werden.
Üblicherweise wird das Gepäck unter die Sitze geschoben. Deshalb sollte man dringend darauf achten, dass das Gepäckstück nicht zu groß und vor allem nicht zu dick ist. Da ich das Abteil zuerst erreiche kann ich mein Gepäck noch in aller Ruhe verstauen. Kaum ist das geschehen kommen auch meine Mitreisenden - drei ältere Herren, die sich alle zu kennen scheinen. Leider sprechen sie kaum Englisch, so dass eine Unterhaltung sehr mühsam ist. Der untere Schlafplatz hat allerdings den Nachteil, dass ich mich erst hinlegen kann, wenn mein Sitznachbar in sein Bett nach oben klettert...
Die Nacht ist wie erwartet einigermaßen unruhig. Kaum niedergelegt stimmen meine drei Mitreisenden ein vielstimmiges Schnarchkonzert an. Da wird das Einschlafen zu einer echten Herausforderung. Das Hin- und Herschaukeln des Zuges beim Überfahren der zahlreichen Weichen tut sein übriges. Trotzdem sind noch einige Stunden Schlaf zusammen gekommen. Mit einer Stunde Verspätung kommen wir in Siliguri an. Ich werde schon erwartet von Gopal und Saran, Fahrer und Guide, für die Fahrt nach Darjeeling. Schnell ist das Gepäck im Auto verstaut.
Auf eine der schönsten Bergstraßen Indiens fahren wir nach Darjeeling. Von knapp etwa 100 m.ü.M. windet sich die Straße in unzähligen Serpentinen in nur 60 km hinauf bis auf über 2.100 m. Es bieten sich immer wieder herrliche Ausblicke. Leider ist das Wetter nicht so klar wie ich es erhofft hatte.
Unterwegs begegnen wir dem "Toy Train", wie die Schmalspurbahn der "Darjeeling Himalayan Railway" auch liebevoll genannt wird. Die Spurenweite beträgt gerade einmal 61 cm. Die Bahnstrecke zwischen Siliguri und Darjeeling wurde in gerade einmal zwei Jahren von 1879 bis 1881 von den Engländern gebaut. Um die Anreisezeit zu ihrem Sommer-Erholungsort zu verkürzen und um einen schnelleren und kostengünstigeren Warentransport zu ermöglichen, wurde dieses für die damalige Zeit gigantische Projekt in's Leben gerufen. Bis heute verbindet die Schmalspurbahn die beiden Städte regelmäßig auf einer abenteuerlichen Strecke. Inzwischen werden die Züge aber nicht mehr von Dampfloks sondern von Dieselloks gezogen und geschoben.
Auf nur 86 km überwindet der Toy Train einen Höhenunterschied von fast 2.000 m und braucht dafür mindestens sechs-einhalb Stunden. Über 554 Brücken, durch sechs doppelte Spitzkehren, drei Kreiskehrschleifen sowide ein ausgeklügeltes System von Z-Kreuzungen und Weichen arbeitet sich der Zug immer höher hinauf. Von den 873 Kurven hat die engste gerade einmal einen Radius von 13 Metern. Teilweise wird die Strecke von dichtem Bergurwald gesäumt, führt entlang endloser Teefelder und bietet immer wieder tolle Ausblicke auf die grandiose Landschaft. 1999 wurde die außergewöhnliche Bahn zum Weltkulturerbe erklärt.
Nach knapp vier Stunden Fahrt fällt das erste Mal der Blick auf Darjeeling! In unvergleichlich schöner Lage zieht sich die Stadt im Vor-Himalaya viele Kilometer entlang eines Bergkammes. Sie liegt inmitten eines Idylls von Teefeldern, Orchideengärten, Rhododendronwäldern und der unglaublichen Kulisse des über 8.000 m hoch aufragenden Kangchenjunga. Für einen kurzen Moment finden sogar einige Sonnenstrahlen den Weg durch den Nebel und die Stadt leuchtet uns entgegen. Der Kangchenjunga zeigt sich allerdings nicht.
In Darjeeling beziehe ich erst einmal mein Zimmer im Dekeling Hotel. Von außen wirkt es zwar nicht besonders einladend - hat aber doch einen besonderen Charme. Es gehört einer tibetischen Familie, die sich liebevoll um die Gäste und um das Haus kümmert. Die Rezeption und die Aufenthaltsräume sind ganz im tibetischen Stil gehalten. Außerdem bieten einige der Zimmer und der Frühstücksraum einen tollen Blick über die Stadt und den Kangchenjunga. Der zeigt sich allerdings erst am nächsten Tag - aber auch nur schemenhaft im morgentlichen Dunst.
Besonders ist auch die Lage des Dekeling Hotels mitten im Zentrum von Darjeeling. Da ich erst am Abend mit den indischen Freunden zum Dinner verabredet bin, bummel ich noch ein wenig durch die Gassen der Stadt.
Wie schon im hintersten Nagaland scheint auch hier alles im Weihnachtsfieber zu sein. Obwohl die Inder ja mehrheitlich Hindus, Moslems und Buddhisten sind ist Weihnachten überall präsent. Die Rezeption unseres Hotels wird von einem Weihnachtsbaum geschmückt, die Straßen werden durch Lichterketten kitschig beleuchtet und riesige Nikoläuse an den Eingängen sollen Besucher in die Geschäfte locken...
Für heute ist ein ziemlich "strammes" Programm geplant. Um sechs Uhr klingelt der Wecker - Frühstück gibt es ab halb sieben - um sieben Uhr stehen Gopal und Saran "auf der Matte". Zu Fuß geht es zum Bahnhof. Hier sind die Vorbereitungen für den sogenannten "Joy Ride" mit dem Toy Train von Darjeeling nach Ghoom bereits im vollen Gange. Der "Himalayan Queen", einer der legendären alten Dampfloks, wird gerade eingeheizt.
Aber die alte "Lady" scheint heute unpässlich zu sein. Trotz vieler technischer Bemühungen will sie sich offensichtlich nicht zu einer Fahrt bewegen lassen. Schließlich wird kurzerhand eine der Dieselloks eingesetzt. Gottseidank, dass die Fahrt überhaupt stattfindet, denn inzwischen steht die Sonne strahlend am tiefblauen Himmel und verspricht phantastische Ausblicke.
Für Eisenbahn-Enthusiasten ist eine Fahrt mit dem Schmalspurbahn, insbesondere mit einer der alten Dampflok als Zugmaschine, mit Sicherheit etwas ganz besonderes.
Wer nicht die gesamte lange Fahrt von Siliguri nach Darjeeling machen kann oder will, für den ist der einstündige Joy Ride von sieben Kilometern von Darjeeling nach Ghoom mit dem Toy Train genau das richtige. Gleichzeitig ist das auch die Strecke mit den besten Ausblicken. An eine der schönsten Stellen, dem Bararia Loop gibt es einen ca. viertelstündigen Halt zum Fotografieren.
In Ghoom verlassen wir den Toy Train, der nach einer kurzen Pause wieder nach Darjeeling zurückfährt. Ein kurzer Spaziergang bringt uns zu dem klenen Yiga Choeling Kloster, das wir uns anschauen wollen. Es wurde 1875 von dem mongolischen Lama Sherab Gyato erbaut und gehört zu dem besonders asketisch und strengen Gelugpa-Orden, was so viel bedeutet wie "Die Tugendhaften". Ein beeindruckender fünfzehn Meter hoher Meitreya-Budda befindet sich im Andachtsraum des Klosters.
Von Ghoom aus sind es zwar nur knapp 20 km nach Manebhanyang, aber für die brauchen wir auf der kurvenreichen schmalen Bergstraße eine ganze Stunde. In Manebhanyang heißt es Abschied nehmen von Gopal und Saran.
Ab hier wird mich Pemba als Trekkingguide begleiten. Außerdem heißt es gleichzeitig auch umsteigen auf ein anderes Fahrzeug. Die Fahrt entlang der Singalila Ridge ist nur möglich mit einem Jeep der Landrover Taxi Association. Wenn ich die alten Vehikel nicht schon von meiner Tour 2005 gekannt hätte wäre mir wahrscheinlich erst einmal der Schreck in die Glieder gefahren...
Es handelt sich noch immer um dieselben ur-uralten Landrover-Jeeps - nur das die inzwischen noch sieben Jahre älter geworden sind. Sie wurden seinerzeit von den Nachfahren der Engländer zurück gelassen und stammen meistens aus den 1960iger-Jahren. Von den örtlichen Agenturen werden die Fahrten entlang der Singalila Ridge liebevoll als "Vintage Landrover Safari" beworben.
Alles an diesen betagten urigen Vehikeln ist denkbar einfach. Die meisten Reparaturen kann der Eigentümer und Fahrer selbst vornehmen. Ersatzteile gibt es natürlich schon lange nicht mehr aber oftmals reicht das Stück Blech einer Cola-Dose, um daraus ein Ersatzteil zu "basteln".
Es ist unglaublich, was diese alten Fahrzeuge immer noch leisten. Die Strecke entlang der Siingalila Ridge ist eine unfassbare Rumpelpiste, die dem Gefährt, aber auch den Fahrgästen alles abverlangt. Und wenn ich hier schreibe "alles", dann meine ich auch wirklich ALLES!!! Das war 2005 schon so und daran hat sich bis heute nichts geandert. Ein Großteil der Strecke ist mit Steinen befestigt, die aber keine geschlossene und einigermaßen ebene Oberfläche bilden sondern ganz verschieden hoch stehen. Über diesen "Holperacker" preschen die Fahrer mit Ihren Landrovern, die schon lange keine funktionierenden Stoßdämpfer mehr haben, in unglaublicher Geschwindigkeit. Dazu kommt streckenweise noch wirklich sehr abenteuerliches Terrain...
Gottseidank fahre ich heute nur gut 20 km bis Kali Pokhari zum Ausgangsort meiner Trekkingtour auf dieser grauenhaften Rumpelpiste. Da ich keine Rückenprobleme habe würde ich die hoffentlich einigermaßen überstehen. Ab morgen bin ich dann wandernd unterwegs von Gästehaus zu Gästehaus in Sandakphu, Molley und Phalut. Mit jeder Etappe komme ich dabei dem Kangchenjunga etwas näher. Von Phalut geht es dann auf anderer Strecke über Rammam und Rimbik nach Darjeeling.
Für die 23 km brauchen wir gut drei Stunden. Dabei überwinden wir fast 1.000 Höhenmeter von 2.100 m in Manebhanyang auf 3.100 m in Kali Pokhari. Auf den ersten Kilometer ist die Straße sogar noch geteert - allerdings in einem sehr schlechten Zustand. Zunächst geht ess durch ein Idyll aus Wiesen, Wäldern und kleinen Dörfern. Dabei ist der buddhistische Glaube überall präsent.
Immer wieder sehen wir kleine Chorten, Manimauern und Unmengen von Gebetsfahnen. Wir sind hier direkt im Grenzgebiet zwischen Nepal und Indien. Dabei führt die Straße auch immer mal wieder ein Stück durch den äußersten Osten Nepals. So liegt z.B. das kleine Dorf Meghma mit seinem Kloster auf einer Höhe von 2.700 m in Nepal. Die Menschen, die hier in den abgelegenen Dörfern im Grenzgebiet leben, sind meistens nepalesische Sherpas.
Mit jedem Meter weiter hinauf wird die Aussicht auf die Bergwelt grandioser. Jede neue Wegbiegung bietet ein anderes - noch schöneres Panorama. Hauptakteur ist dabei der Kangchenjunga bei unglaublich klarem und sonnigen Wetter. Ich kann mein Glück kaum fassen. Von alledem haben wir auf unserer Tour 2005 nichts - aber auch wirklich gar nichts gesehen...
Am späten Nachmittag erreichen wir schließlich nach ungezähligen Fotostops Kali Phokhari. Der Name des Dorfes kommt aus dem Nepalesischen und bedeutet so viel wie "Dunkles Wasser" und beschreibt einen kleinen gebetsfahnengeschmückten See am Ortseingang. Von dort führt eine Manimauer zu einer Ansammlung von einigen wenigen Häusern.
Pemba hat die Chewang Lodge für uns ausgewählt. Hier sind wir schon 2005 abgestiegen - wie schön, dass es die Lodge noch gibt. Wir werden sogleich mit einem Tee begrüßt und so lassen wir uns erst einmal im Aufenthaltsraum nieder, der gleichzeitig auch die Küche ist. Später beziehen unsere Zimmer. Ein Stuhl und ein Bett mit vielen warmen Decken - was will man mehr.
Der Tag verabschiedet sich mit einem stimmungsvollen Sonnenuntergang. Gleichzeitig wabbert aber dichter Nebel und Wolken hinauf zu uns in Richtung Singalila Ridge. Hoffentlich hält sich das schöne Wetter auch in den nächsten Tagen...
Um sieben Uhr sind wir zum Frühstück verabredet. Allerdings ist weder Pemba zur Stelle, der bei Freunden in einem anderen Haus übernachten wollte, noch tut sich irgendetwas in der Küche. Also gehe ich erst mal eine kleine Runde durch's Dorf. Gottseidank haben Nebel und Wolken sich verzogen und die Sonne strahlt wieder von einem tiefblauen Himmel. Nach einiger Zeit taucht Pemba auf und wir gehen zurück. Aus der Küche strömt ein verlockender Geruch. Köstliche "stuffed paranthas", dünne mit würzigem Kartoffeln gefüllte Brotfladen mit einem Gemüse-Curry und Reis, warten darauf verspeist zu werden.
Unsere erste Wanderetappe! Es sind gerade einmal sechs Kilometer nach Sandakphu auf der Rumpelpiste, die uns jetzt bis nach Phalut begleiten wird. Für Fußgänger gibt es allerdings zahlreiche Abkürzungen und so bleiben höchstens noch fünf Kilometer übrig. Eine Weile geht es ganz gemütlich ohne große "Ups and Downs" vorwärts.
Erst auf den letzten beiden Kilometer windet sich die Straße in engen Serpentinen steil bergauf. Da komme ich ganz schön in's Schnaufen. Pemba läuft weit voraus, denn mein Schneckentempo scheint nichts für ihn zu sein. Da man sich hier unmöglich verlaufen kann ist das auch überhaupt kein Problem. Je höher ich mich hinauf arbeite desto häufiger bieten sich phantastische Ausblicke. Es ist herrlich, mal etwas mehr Zeit zu haben und auch immer wieder genussvoll und in aller Ruhe in der Sonne zu sitzen und die Landschaft zu genießen..
Aber hier oben pfeift auch ein ziemlich heftiger Wind. Der ist eiskalt und geht durch und durch. Schnell habe ich alles, was mein Tagesrucksack hergibt, übereinander gezogen. Mein Hauptgepäck ist inzwischen bestimmt schon mit Pemba in Sandakphu angekommen. So beeile ich mich auch hinauf und zur Lodge zu kommen. Der erste Blick über Sandakphu vor dem Kangchenjunga lässt mich die Kälte erst einmal vergessen...
Pemba erwartet mich schon und zeigt mir den Weg zu unserer heutigen Unterkunft, dem Sherpa Chalet. Ein schönes Zimmer hat er schon für mich ausgesucht und mein Gepäck ist auch schon dort. Die Mittagssonne hat den Raum mit den großen Fenstern angenehm aufgewärmt. Sobald ich selbst auch wieder einigermaßen aufgewärmt bin ziehe ich so ziemlich alles übereinnder, was übereinander passt, denn es zieht mich wieder hinaus in diese herrliche Landschaft.
Es ist unglaublich wie stark und eiskalt der Wind aus der Richtung von Nepal über die Siingalila Ridge fegt. Durch das Fotografieren sind meine Hände innerhalb kürzester Zeit eiskalt. Aushalten kann man es tatsächlich nur an sonnenbeschienenen windgeschützten Stellen. Die stürmische Kälte treibt mich viel zu schnell wieder in die Lodge. Zum Sonnenuntergang muss ich aber noch mal raus...
Was sich gestern wie ein leichter Schnupfen anfühlte ist über Nacht zu einer heftigen Grippe geworden. Ich hatte das Gefühl, dass ich mit meinem "dicken Kopf" kaum durch die Tür passen würde. Außerdem fühlte ich mich einigermaßen "wackelig" auf den Beinen. Trotzdem muss ich kurz vor fünf raus zum Sonnenaufgang.
Nach einer starken Dosis Grippemittel geht es ein klein wenig besser. Nach dem Frühstück brechen wir deshalb wie geplant auf. Es liegen 16 sonnenbeschienene Kilometer ohne große Höhenunterschiede vor uns. Die phantastischen Ausblicke lassen mich meinen Brummschädel erst mal ein klein wenig vergessen.
Der Wind pfeift immer noch unvermindert heftig und eisig kalt über den Bergkamm der Singalila Ridge. Für das Wandern ist das eine echte Herausforderung. In den vielen dicken Schichten aus T-Shirts, Pullis, Jacken und einer Weste bin ich einigermaßen geschützt vor dem eisigen Wind. Wenn wir allerdings im Windschatten unterwegs sind bin ich sogleich schweißgebadet. Trotzdem kommen wir ganz gut voran. Unterwegs begegnen wir einer kleinen Gruppe Dzos, eine Kreuzung aus Yak und Hausrind.
Gegen Mittag haben wir ungefähr neun Kilometer von unseren heutigen sechzehn geschafft. Inzwischen fällt mir jedoch jeder Schritt vorwärts wirklich schwer. Deshalb beschließen wir, beim nächsten Fahrzeug den Daumen herauszustrecken und auf Anhalter zu machen. Problem ist nur, dass bis jetzt überhaupt noch kein Fahrzeug vorbeigekommen ist. Das sieht Pemba ganz gelassen. Die Fahrzeuge, die heute Morgen in Manbhanyang losgefahren sind, können jetzt noch nicht hier sein, meint er. Es ist kaum zu glauben, aber es dauert kaum eine Viertelstunden und wir hören Motorengeräusche. Ein Pickup, vollbeladen mit Kerosin-Fässern, die für das Militärcamp in Molley bestimmt sind, hält an. Gar keine Frage - wir dürfen mitfahren. Gerne rücken Fahrer und Beifahrer ein wenig zusammen, so dass wir auch noch mit hinein passen. Um nach Molley zu gelangen verlassen wir die Hauptstrecke entlang der Singalila Ridge und fahren ein Stück hinunter in ein Seitental. Die Strecke ist unbeschreiblich schlecht, dass ich gar manchen bangen Blick auf die Ladefläche zu den Kerosin-Fässern werfe...
Neben dem Militärcamp gibt es ein einziges Haus in Molley, in dem es auch vier sehr, sehr einfache Mehrbettzimmer als Übernachtungsmöglichkeit für Besucher gibt. Da wir die einzigen Gäste sind beziehen Pemba und ich jeweils ein eigenes Mehrbettzimmer. Die Küche mit einer offenen Feuerstelle ist in einem kleinen Schuppen neben dem Haus untergebracht.
Bei unserer Ankunft werden wir sogleich mit einem sehr schmackhaften Tee begrüßt. Da der Aufenthaltsraum verschlossen ist hocken wir uns auf die kleinen Schemel im Küchenschuppen. Danach ziehe ich mich auf mein Zimmer zurück, um mich erst mal einen Moment niederzulegen. Die Betten sind allerdings unglaublich hart und unbequem, denn die dünnen Matrazenmatten liegen direkt auf einem Holzbrett. Wie gut, dass es noch einige weitere dieser dünnen Matrazen auf den anderen Betten gibt. Nachdem ich alle vorhandenen Matten übereinander auf mein Bett gelegt habe fühlt sich das schon sehr viel besser an...
Später gehe ich eine kleine ganz langsame Runde durch das Tal. Da Molley etwa 200 m tiefer liegt als die Singalila Ridge gibt es leider keine schönen Ausblicke. Dafür ist es hier unten allerdings absolut windstill. Ich suche mir ein gemütliches mit etwas Gras bewachsenes Plätzchen in der Sonne und mache erst mal genussvoll ein Nickerchen.
Später berate ich mich mit Pemba. Da es mir mit meiner starken Erkältung in der Höhe nicht gut geht beschließen wir, dass wir für die weiteren Etappen ein Jeep-Taxi aus Manebhanyang nutzen. Pemba ruft bei der Landrover Taxi Association an und im Laufe des morgigen Vormittages wird der Jeep hier sein. Einerseits bin ich sehr erleichtert - andererseits graut es mir allerdings vor dem Fahren auf dieser schrecklichen Rumpelpiste...
Nach einem extrem einfachen Frühstück mit zwei Chapatis und etwas Spinat-Curry können wir sofort aufbrechen. Unser Jeep ist bereits eingetroffen. Es liegen ca. zwei Kilometer hinauf von Molley zurück zur Hauptstrecke und dann noch etwa sieben Kilometer nach Phalut vor uns. Es ist unglaublich zu sehen, wie der Kangchenjunga und die Singalila Ridge aus einem Meer von Wolken herausragt.
Kaum, dass wir das Molley-Tales verlassen haben, pfeift uns auch schon wieder der eisige Wind um die Ohren. Trotzdem steige ich unzählige Male aus, um die grandiose Landschaftsszenerie wieder und wieder zu fotografieren. Ich kann mich gar nicht satt sehen! Bei dem unglaublich klaren Wetter hier oben reicht der Blick vom Kangchenjunga im Osten bis zum Mt. Everest und weiteren 8.000er Eisriesen in Nepal
Nach knapp zwei-einhalb Stunden kommen wir trotz meiner ausschweifenden Foto-Orgie in Phalut an. Ähnlich wie in Molley besteht der Ort hauptsächlich aus einem einzigen Gästehaus, das allerdings etwas größer ist. Gleich hinter dem Gästehaus auf einer Anhöhe ist einer der schönsten Aussichtspunkte auf der Singalila Ridge.
Hier in dieser exponierten Lage kommt man dem Kangchenjunga auf der Singalila Ridge am nächsten.
An diesem einmaligen Ort suche ich mir ein windgeschütztes Plätzchen, genieße die wärmende Sonne und die herrliche Aussicht mit viel Muße. Erst später als immer mehr Wolken aufsteigen und es kühler wird, mache ich mich auf den Weg zurück zur Lodge. Dort bereite ich erst einmal mein Bett, meinen Schlafsack und mich selbst für die Nachtruhe vor. Meine Schlaf-Leggins und mein Schlaf-Shirt ziehe ich immer schon frühzeitig drunter, damit ich das nicht in der Kälte des Abends noch tun muss.
Nach einem frühen, sehr einfachen Abendessen am wärmenden Feuer in der Küche, zieht es mich ziemlich schnell in meinen Schlafsack. An Nachtruhe ist allerdings nicht zu denken. Es ist richtig fies kalt. Außerdem steht mein Bett an der Außenwand gegen die Windrichtung. Dauernd fühle ich einen eisig kalten Luftzug, der auf mich niederfällt. Ganz offensichtlich ist die Außenwand und die Holzvertäfelung nicht ganz dicht, und der eisige Wind pfeift durch die Ritzen. Da hilft auch mein warmer Schlafsack nicht mehr. Innerhalb kürzester Zeit bin ich durchgefroren. Leider gibt es kein anderes Bett in dem Zimmer, auf das ich ausweichen könnte. Nun hilft nur noch eine Umräum-Aktion. Mit einiger Mühe gelingt es mir das schwere Holzbett quer durch den Raum zu bugsieren und an die Innenwand zu schieben. Damit ist wenigstens die Nachtruhe einigermaßen gerettet...
Schon früh schäle ich mich aus meinem Schlafsack, um noch rechtzeitig zum Sonnenaufgang beim Aussichtspunkt zu sein. Pemba hatte vorgeschlagen, dass wir zusammen dort hinauf fahren. Allerdings kann ich weder Pemba noch den Fahrer finden. Als die beiden endlich auftauchen muss zunächst noch der Jeep fahrtauglich gemacht werden. Bei der Eiseskälte hier oben wird zur Sicherheit über Nacht das Kühlerwasser abgelassen. Als wir endlich am Aussichtspunkt ankommen steht die Sonne schon ein gutes Stück über dem Horizont - schade.
Nach einem kurzen und schnellen Frühstück brechen wir auf zur Rückfahrt nach Manebhanyang. Das bedeutet fast 50 km auf dieser schrecklichen Holperpiste. Da gibt es nur eins: Augen zu und durch und das ganze mögichst schnell hinter sich bringen. Außer drei Fotostops, eine kurze Teepause in Sandakphu und eine Mittagspause für die Fahrer in Kali Pokhari fahren wir ohne Unterbrechung durch. Den Kangchenjung verschwindet mehr und mehr hinter uns.
Je weiter wir in Richtung Manebhanyang und damit in etwas niedrigere Höhen kommen umso dunstiger wird es. Immer mehr Nebel und Wolken schieben sichh die Hänge der Singlalila Ridge hinauf. Kurz hinter Kali Pokhari fahren wir in einer einzigen riesengroßen Wolke. Stellenweise können wir kaum die Hand vor Augen sehen. Was haben wir nur für ein unglaubliches Glück mit dem Wetter gehabt!
Nach etwa vier-einhalb Stunden reine Fahrzeit haben wir die knapp 50 km zwischen Phalut und Manebhanyang hinter uns gebracht. Durchgerüttelt und restlos eingestaubt habe ich beim Aussteigen das Gefühl, dass ich kaum noch geradeaus gehen kann. Gopal und Saran warten schon auf mich. Flugs ist das Gepäck umgeladen. Nach einem kurzen Abschied von Pemba fahren wir sogleich die letzten 25 km nach Darjeeling. Jeden Meter auf einer "richtigen" Straße in einem komfortablen Fahrzeug ist geradezu eine Wonne. Diese Wonne wird noch gesteigert durch den Gedanken an mein gemütliches Zimmer im Dekeling Hotel und eine heiße Dusche.
Immer wieder finde ich es beeindruckend wie ein solch kurzes Verlassen der "Komfortzone" vieles wieder zurecht rückt. Die Wertschätzung für die kleinen und oft so selbstverständlichen Dinge unseres Lebens wird eine ganz andere. Was für uns gerade einmal einen kurzzeitigen Komfortverzicht bedeutet ist für viele unserer Mitmenschen der ganz normale Lebensalltag...
Nach dem Genuss der heißen Dusche mache ich einen kurzen Spaziergang durch den Haupt-Bazaar von Darjeeling und genehmige mir eine köstliche Chicken-Tikka im Shangri La-Restaurant.
Da ich durch die unplanmäßige Jeep-Fahrt auf der Singalila Ridge einen Tag früher nach Darjeeling zurückgekehrt bin verbleibt mir hier noch ein gemütlicher Tag mit viel Müßiggang. Den nutze ich erst einmal für einem etwas ausführlicheren Spaziergang und einige Fotos.
Später treffe ich mich noch mit Luis, dem Guide, mit dem ich 2005 auf der Singalila Ridge, in Sikkim und in Darjeeling unterwegs war. Wir hatten uns seinerzeit so gut verstanden, dass wir all die Jahre in lockerem E-Mail-Kontakt geblieben sind. Am Abend geht es noch einmal zum Abendessen mit den indischen Freunden.
Noch einmal unterwegs auf eine der schönsten Bergstraßen Indiens. Gegen acht Uhr holen Saran und Gopal mich ab und wir fahren auf gleicher Strecke hinunter in's Tiefland. Dieses Mal jedoch nicht nach Siliguri sondern nach Bagdogra, der Nachbarstadt. Mein Flug von dort geht erst gegen halb zwei und so haben wir viel Zeit. Die investiere ich gerne in einige Fotos, denn heute scheint sogar auch hier unten in und um Darjeeling die Sonne.
Nach knapp drei Stunden Fahrt lassen wir die Berge hinter uns. In gut einer Stunde sollten wir in Bagdogra ankommen.
Gopal hält an einer Dhaba. Dhabas sind einfache Gaststätten, meistens entlang viel befahrener Strecken, in denen man sehr preiswert und meisten wirklich gut essen kann. Hier halte ich immer, wenn ich hier lang komme, meint Gopal, denn hier ist es wirklich lecker. Da sage ich nicht nein. Ich liebe indische Dhabas und die gute indische Hausmannskost, die es hier gibt. Der Gastraum ist fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Doch schnell rücken die Gäste etwas näher zusammen und der Gastwirt bringt gleich noch drei Stühle.
Von weitem fällt mein Blick auf frisch zubereitete Samosas. Das sind fritierte indische Teigtaschen, meistens gefüllt mit würzigen Stampfkartoffeln und Erbsen. Am besten schmecken die mit einer erfrischenden Jogurt-Mint-Sauce. Mit Samosas kann man in Indien eigentlich nie etwas falsch machen - die sind immer köstlich! Zwei davon müssen unbedingt mein werden. Was für ein Genuss!
Bagdogra ist schnell erreicht. Das quirlige und laute Treiben auf den Straßen überfordert mich fast ein wenig nach den Tagen der Ruhe, Stille und Abgeschiedenheit in der phantastischen Himalaya-Landschaft auf der Singalila Ridge und dem eher ruhigen Darjeeling.
Gegen zwölf Uhr kommen wir am Flughafen von Bagdogra an. Jetzt heißt es Abschied nehmen von Saran und Gopal. Mit unglaublich vielen schönen Reise-Eindrücken von Nagaland, Assam und West-Bengalen sitze ich kaum zwei-einhalb Stunden später in meinem Flieger in Richtung Delhi, wo ich umsteige ich Richtung Frankfurt.
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